Gedichte und Texte

Helmut Haberkamm

Edzerdla

Edzerdla
Machmer wos, wos so nunni geem hadd doo bei uns
Wossi mei Lebdooch scho immer geern doo kabbd hädd
Wos die Leid oosprichd und oogehd, wossi oodrabbd
Wosna a Freid mächd und wossi nämmer vergessn

Hobb edz, edzerdla machmers
Wemmers edz nedd selber machn, werds nie mehr wos
Ward nedd, bis die annern machn
Ward nedd, bisd eigloodn wersd und bisdi froong denna
Ward nedd, bisd des Geld beinanner hasd
Bis die richdichn Leid kumma
Bis die Zeid reif is dafier
Edzerdla machmers – ganz egool wies na läffd!

Und heid edzerdla
Stehi doo und edzerdla gibbds des wergli!
A Fesdiwäll, zwaa Dooch und drei Bühna
A boor hunnerd Leid, wu aufdreedn und helfn und ärbern
Und so a Haufn Leid, wu herkumma sinn zum Zuhorng
Wussi freia, wu wos spiern und mied hammnehma doo dervoo

Edzerdla gibbds des wergli
Zum erschdn Mool gehds in Frankn nedd um die Worschd
Nedd ums Bier, ummern Wein, ummern Karpfn, ummern Gree

Edzerdla
Gehds um nix annersch wie um unner Sprooch
Edz gehds nedd um Bollidigger und Brozende
Nedd um Gwoodn, um Gelder und Brofidde
Nedd um Brommis, Speggdaggl und Iewenz
Nedd um Skandale, Dragödien und Kaddasdroofn

Edzerdla
Gehds um nix annersch wie um unner Mundoord
Edz gehds nedd um die Broodworschd odder ummern Boggsbeidl
Nedd ums Schaiferla, ummern Spargl odder um die Gleeß
Nedd um GreiderFerd und nedd ummern Glubb,
Nedd um Brose und HC, um Eisdaigers odder Kiggers
Nedd ummern Daadord odder die Fassnachd –
Edzerdla gehds um nix annersch wie um unner Sprooch
Die wummer all Dooch in Mund nehma denna

Edzerdla
Reedmer so, wie uns der Schnoobl gwaggsn is
Grood oo und frisch vo der Lebern
Wies auf der Zunga lichd und wie uns der Hoobern stichd
Wies im Moong lichd und an die Finger bichd
Wies uns ums Herz rum und im Kopf drin is

Edzerdla
Gehds um nix annersch wie um unner Sprooch
So alldägli und so komisch
So wergerdeechi und so feierli
So verschiedn und so lebendi
So gscheerd und so gepfleechd
So gsetzd und so hupferd, so gmiedli, kobberneggisch und nissi
So siererd, so herzli, so belzi, so fuggsdeiflswild

Edzerdla
Gehds um nix annersch wie um unner Sprooch
Und alla sperrn die Ohrn auf und horng zu
Aa wenns ganz annersch glingd wie derhamm
Aa wemmersi oostrenga muß, daßmers verstehd
Aa wenns nedd immer glei des is, wosmer heern meecherd
Mer blabbd dabei, mächdsi auf und horchd zu

Edzerdla
Mergmer, daßmer mehr midnanner zu doo hamm, wiemer maana
Daßmer uns mehr zu soong hamm, wiemer dengd hamm
Daßmer mehr zu geem hamm und fier uns miednehma
Daßmer allmidnanner mehr grieng und verstenna und erreing kenna
Wiemer dengd hamm

Edzerdla hammers
Edzerdla simmers
Edzerdla baggmers
Edzerdla baßds
Edzerdla fangmer oo
Edzerdla gehds los
Edzerdla werds wos
Edzerdla stimmds

Und nacherdla
Nacherdla wermer scho sehng
Na wissmer mehra
Na hammers alla zeichd
Wosmer sinn und machn kenna
Und nacherdla
Na schaumer amoll
Na sehngmer scho
Des greengmer scho
Au Wunner
Mensch
Des wär doch gelachd!

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© Originalbeitrag zum MundArt-Festival 2016.
Alle Rechte beim Autor.


Helmut Haberkamm

Franken, die Heimat vo Midnanner & Machmied

Wos machd ihr doo?
A Fesdiwäll?
Fier wos solldn des gud sei?
Wos solldn des bringa?
Ja, wer brauchd denn sowos?
Wer solldn des alles na bezohln?

Wu wolldern des na machn?
Wu? Wu isn des? Des kennd doch ka Sau!
Des is doch vill zu weid wech.
Worum maggsdn des nedd doo bei uns?
Ja, wer solldn doo na kumma?
Wu sollmern doo bargn?
Kammer des derlaafn?
Den Drumm Berch dord nauf?
Des werdmer scho so a Gaudi wern!

Des is doch vill zu groß.
So a Haufn Leid doo.
Des is doch vill zu deier.
Zwaa Dooch.
Des is doch vill zu lang.
Jeder bloß a halba Stund.
Des is doch vill zu korz.
Drei Bühna.
Des is doch vill zu vill.
Des is alles vill zu ieberdriem und ieberhabbds.

Des is doch alles vill zu gfährli.
Doo kann fei a Haufn bassiern.
Wenn doo a Käldn kummd odder a Sturm!
Doo brauchd bloß amoll a Gwidder kumma, na hasders!
Laß doo amoll in Blitz neischloong
Laß doo amoll so richdi runderschiffn
So an richdin Wolgnbruch mid Storzreeng Schloochreeng Stargreeng
Au Wunner, Grißdi Godd na!
Na willi eich sehng
Wosser na soong dädd
Na schauder saubleed aus der Wäsch
Batscherdnaß und zammgsaid wie a dersuffner Ratz.
Doo schwemmds eich na eier ganza Gstellaaschi dervoo!
Na habbder in Buggl voller Schuldn
Und die Ohrn voller Schimpfer, Schand und Streid!

Kummdmer na bloß nedd doher und jammerd.
Wall iech hobbs eich ja glei gsochd
Mir woor des vo Oofang oo scho gloor
Des haddmer ja aa kumma sehng
Obber ihr horchd ja nedd und gedd auf ka Red
Naja ihr werd scho sehng, wie weid dasser kummd
Mid eierm großmächdin Fesdiwäll doo
Ihr werd na scho sehng, wu des hiefiehrd
Und wos doo rauskummd derbei.

Gspannd binni, obber im Grund gnumma ismers worschd.

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© Originalbeitrag zum MundArt-Festival 2016.
Alle Rechte beim Autor.


Der Anfang ist gewagt: Ein Liedermacher im Bierzelt. Der Mann mit der Gitarre wirkt verlassen auf der Bühne. Vor ihm sitzen rund 600 Menschen; viele von ihnen offenbar daran gewöhnt, dass  Bierzelt und Gespräche zusammengehören. Johann Müller, vom Moderator, dem Kabarettisten Klaus Karl-Kraus, als „Naturgenie“ und „Steigerwälder Bob Dylan“ ankündigt, versucht sich erst  einzureden, er könnte gegen die Stimmen anspielen: „Ich hör viel Gerede, aber es haut hie“, sagt er nach dem ersten Lied. Doch spätestens beim zweiten werden auch jene im Publikum unruhig, die zuhören wollen. Eine Frau eilt an den Bühnenrand und dem Liedermacher zu Hilfe.

„Die nette Dame“, sagt Müller dann, „richtet aus, dass ihr bissl leiser seid.“

Die Bitte kommt gerade rechtzeitig zum folgenden „Laafsong“. Wenn der mitunter überbordende Johann Müller die hingebungsvollen und leisen Töne ausspielt, wie bei diesem Dylan-Lied „Make you feel my love“, den Helmut Haberkamm ins Fränkische übertragen hat, zeigt er seine stärkste Seite.

Voller Überraschungen stecken Ansagen und Abschweifungen zwischen den Liedern. Mal sind es eruptive Beschwörungen der Schönheit seiner Heimat; dann wieder kleine Anekdoten, die den fränkischen Charakter mit seinem Hang zur Ernüchterung und zum Jammern schildern – plötzlich ein schwärmerischer Jubelruf, mit dem der musikalisch hoch begabte Schreiner seinen Vorbildern und sich selbst huldigt: „Bob Dylan ist der beste Songschreiber, den es bisher gab – aber ich bin aa nu da.“

***

Wie unterschiedlich fränkische Kabarettisten das Publikum einbeziehen. Die manchmal fast anmutig wirkende Mia Pittroff und der Gift und Galle schwitzende Matthias Egersdörfer – konträrer können die kabarettistischen Kontraste nicht sein. „Ist jemand hier, der Jürgen heißt“, fragt Mia Pittroff. Als kein Jürgen im Publikum sitzt, bittet sie einen Mann in der ersten Reihe für ihre nächste Darbietung, den Jürgen zu spielen.

Bitten. So was würde Matthias Egersdörfer niemals einfallen. Er bezieht seine Zuhörer so brachial ein, dass er sie schon wieder ausschließt. „Ich nenn Sie mal Gerda – ich konzentrier mich auf Sie und wir ziehen das knallhart durch.“ Wenn Egersdörfer die Frauen als „Schawelln“ oder „glotzerde Weiber“ abkanzelt, fragen sich viele Zuhörerinnen: Darf er das? Wie meint er das? Über sich selbst spricht er als Egersdörfer, wie spricht er denn über uns?

Zwei Frauen verlassen das Zelt. Sie müssen sich vom stämmigen Mann mit dem roten Hemd einiges nachrufen lassen. Einen Fotografen vor der Bühne bringt Egersdörfer mit obszönen Gesten auf Distanz. Ein Besucher aus dem Aischgrund, mit der Derbheit des fränkischen Dialekts vertraut, sagt danach: „Wüste Publikumsbeschimpfungen.“ Auf dem Fußballrasen vor dem Festzelt sind nach Egersdörfers Auftritt nicht wenige verwunderte Stimmen zu hören. „Am Anfang musste ich Tränen lachen, aber dann fand ich es nicht mehr lustig.“ Oder: „Männer einfach als Idioten zu bezeichnen, das geht mir zu weit.“

Der Kabarettist, Komiker und Choleriker aus Nürnberg, der die links vor ihm Sitzenden als Nazis, die auf der rechten Seite als intellektuell beschränkt („Die Buuuh-Schreier in der vordern Reihe – wohl mit dem Awo-Bus herbracht?“)  und die in der Mitte als „Depperle“ einstuft, scheint diese hässlichen Distanzierungen zu brauchen, um in Fahrt zu kommen. Es ist eine Fahrt in die alptraumhaften Phantasiegeschichten eines Mannes, der eigentlich nur in Ruhe seinen Gewohnheiten nachgehen und einen gepflegten Kaffee trinken will – und dabei merkt, dass er seinem Innenleben aus Trägheit und Gewalt nicht entkommen kann. Egersdörfer ist ein  gnadenloser Erzähler, der von der Komik-Figur Egersdörfer erzählt; es sind groteske Szenen, die er ineinander schachtelt. Es sind erschreckend gute Geschichten, in denen sich genau jene „Boshaftigkeit als Schlacke ablagert“, die Egersdörfer dann nach außen auf die Frauen im Festzelt projiziert. Wer aber tief-schwarzen Humor nicht schätzt, sollte diesem Mittelfranken fern bleiben. „Sollmer lachn odder in die Hosn brunzen?“ – das sind die Alternativen, die Egersdörfer anbietet. Moderator Klaus Karl Kraus hat es etwas abstrakter formuliert: „Dieser Mann polarisiert.“

***

Was sämtliche Mundart-Typen, die auf den drei Bühnen in „Berna“ stehen, verbindet: Sie sprechen immer auch über ihre Sprache. Ob es Sänger, Puppenspieler, Lyriker, Kabarettisten oder Musiker  sind, ob sie Buck, Tietz, Haberkamm, Kern, Bauernschmitt, Gasseleder, Michl oder Pittroff heißen. Immer geht es auch darum, wie die Franken sich ausdrücken. Warum das so und nicht anders gesagt wird. Wie paradox es klingt. Warum man der eigenen Sprache kaum zu trauen wagt. Warum sie vielleicht vom Aussterben bedroht ist – und  dass es endlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte,  sie zu sprechen.

„Nix annersch wie unner Sprooch“ soll an diesen beiden Tagen in „Berna“ im Mittelpunkt stehen, wünscht sich Helmut Haberkamm, der Mundart-Autor aus Dachsbach und Erlangen und geistige Vater des Festivals. Er will nicht mehr „waddn, bis die Zeit reif is“ – sagt Haberkamm und fordert die Zuhörer auf, nicht vor der Sprache zurückzuschrecken, die sie doch „all Dooch in Mund nehma denna“.

Das Festival entfacht auch die Sehnsucht einer Sprach- und Lebensgemeinschaft. Vorbei sein soll die Zeit, in der Mundart-Sprechende für „Doldis“ gehalten wurden. Helmut Haberkamm, der den Dialekt nicht nur nutzt, sondern ihn zu einer Kunst-Sprache  erhoben hat (die auch für eingefleischte Dialekt-Sprecher viel unbekanntes Material bereit hält) – er nennt zwei einfache Argumente für den Gebrauch dieser  Sprache. Erstens: Warum sollten wir nicht „so redn, wies die Zunga hergibt“? Zweitens: „Mensch, klingt des schee!“

Wobei diese Schönheit auch Schwachstellen hat, wie der aus der Rhön stammende  Kabarettist Mäc Härder vorführt. Wenn er loslegt, haben alle Nicht-Rhön-Franken ein Kommunikationsproblem. Etwa bei Sätzen wie: „Ich hätts gelaff läss könn.“ Folgenreich auch der Kronacher Hang, Dir und Dich zu verwechseln. Kombiniert mit der Gewohnheit das „p“ zum „b“ zu machen, wird das Angebot eines Mannes im Supermarkt, der einer Frau Geld leihen („pumpen“, also „bumben“) will, zur Farce. In dieser von Mäc Herder übermittelten (angeblich wahren) Geschichte, lautet das Angebot des Mannes im Supermarkt: „Ich bumbs dich.“

***

Bewussten Mundart-Nutzern zu begegnen, das sei ja eine „kleine Bildungsveranstaltung“  über die Franken und das Fränkische, bemerkt ein Besucher aus Schwaben, der Günter Stössel zuhört. Der erklärt, dass die Franken  alles nur „a weng“ haben und dass jeder Begriff – auch das Motto des Festivals: Edzerdla – variabel, ergänzungsbedürftig und steigerbar sei: Edzerdla, soddala, sixtdersla. Stössel verdanken die Zuhörer am Sonntagmittag vor der Hauptbühne auch die schöne Einsicht, dass die  Mundart zwar kernig und derb sei: „Doch da müssmer durch.“ Für Stössel ist die Mundart das „unterste Sediment im Hirn und dadurch unverlierbar“. In Momenten des Ärgers und beim Erwachen aus einem Traum melde sie sich zwangsläufig zu Wort.

Auch Wolfgang Tietz, der auf der Bühne am Kapellenberg auftritt, gibt sich und seinen Puppen Raum für Reflexionen über das fränkische Innenleben. Zwischen den Rollen des Puppenspielers, Welterklärers und Sängers hin- und herspringend, schildert der Gräfenberger Tietz die Franken als Menschen, „die immer Andeil ham wolln in der großen weidn Weld“. Gleichzeitig scheinen sie gerne bereit, ihre weitsichtigen Einblicke auf das  Format eines Kerwa-Liedlas zu reduzieren.

Wie gut und variabel fränkische Melodik mit den Rhythmen der weiten Welt kombinier- und ergänzbar ist, das zeigen am ersten Abend die fröhlichen Musiker/Innen der Landmusigg, die locker vom Kerwas-Liedla-Takt in den Swing oder zum Rumba hinüberwechseln. Genau so mühelos, wie tags darauf Mia Pittroff die fränkische Glaubensweise dem Buddhismus zuordnet. Dass der Buddhismus den  Franken entspreche, das sei schon durch die „zwei d in der Mitte“ belegbar. „Ich du hald a weng mid´m Buddhismus“, erklärt die oberfränkische Kabarettitin ihren Zuhörern. Und zitiert als Beleg für buddhistisch-fränkischen Gleichmut: „Was dir sonst scho wurschd war, is dir heut noch a weng wurschder als wie sonst.“

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Ins Gespräch kommen „über die Sprooch“, das ist auch das Thema, das die beiden Theologen Wolfgang Brändlein und Heinrich Weniger antreibt. Ihr Gottesdienst in fränkischem Dialekt hat zwar mit Ökumene nichts zu tun (irgendwie fehlt alles, was katholische Gottesdienste ausmacht); aber wie die beiden den Dialekt in den Mittelpunkt rücken, das zündet. Er habe drei Wochen geübt, sagt Brändlein, um ins Fränkische „nei zu grooven“. Er verstehe Sprache wie Gott – als Heimat.

Es wird ein Gottesdienst voller Witz: Brändlein begrüßt nicht nur das volle Festzelt, sondern auch den Baum auf der Bühne – „den Baam“. Schließlich sei es ein Pater-noster-Baum. Und sein lateinischer Name: Melia aceterach – ob das nicht ziemlich fränkisch klinge, fragt der evangelische Pfarrer. Als dann Helmut Haberkamm ans Mikrofon tritt und seine ins Fränkisch übertragene Moses-Passage vorliest, fällt genau beim Wort „Allmächd“ das Mikrofon aus. Die Rückkehr des Tons kommentiert Haberkamm mit einem erleichterten „Edzerdla“. Ein Wort, das sitzt, die Gottesdienstgäste jauchzen.

Ein Gast aus der Diözese München, selbst Theologe (katholischer), sagt am Ende der beiden Tage, der Gottesdienst sei für ihn die beeindruckendste Veranstaltung während des Festivals gewesen. Heinrich Wenigers fränkische Predigt hatte ihn berührt. Heiner Weniger predigt über ein uraltes Problem – die Kluft zwischen Barmherzigkeit und Recht. Er erinnert mit spitzfindigem Witz daran, dass es gar nicht so effektiv ist, seine Frau mit einem „Ich liebe dich“ zu betören. Effektiver sei ein „Du hast Recht.“

In präzisen fränkischen Reimen verdeutlicht Weniger, wie erfüllend Rechthaberei sein kann: „Is das Recht auf meiner Seidn, werd ich doch keinen Streit vermeidn.“ Heiner Weniger variiert das Thema mit dem Balken im eigenen Auge erst heiter, dann, mit einem Sprung in die deutsche Geschichte, politisch ernst: „Die Nazis warn ka kleiner Spreißl, sondern der Dunnerbalken, der ins Auge ging.“ Dann lyrisch: „An dem Ort, an dem wir Recht ham, wächst ka Blumma mehr, Erbarmen loggerd des Erdreich auf.“

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In der gereimten Predigt von Heiner Weniger taucht auch ein „Massaraddi“ auf. Das gibt einer Kollegin des Pfarrers, die ihn nach dem Gottes begeistert begrüßt, Rätsel auf: „Hast du wirglich an Massaraddi?“ Weniger lacht vielsagend. Viele wollen ihm nach der Predigt die Hände schütteln und Fragen stellen. Auch Hartmut Assel, ein Mitglied der Landessynode, beglückwünscht ihn zur Predigt: Sie sei „nicht seicht“ gewesen, wie Mundartgedichte manchmal, sondern scharf und präzise. „Da war die notwendige Klarheit“, freut sich Assel. Nur in einem Punkt verweigert Heiner Weniger die Klarheit. Als die  Kollegin wegen des Massaraddi nachbohrt, bleibt er dabei: „Ich sag nix, das bleibt geheim.“

Im Anschluss an den Gottesdienst gibt Heiner Weniger auf einer Bank am Rand des Fußballfeldes, auf dem das Festzelt aufgebaut ist, Auskunft über seine Einblicke in die Verbindung zwischen Sprache, Ethnien und Versöhnung. „Abstrakt geht gar nix“, sagt er über seinen Sprachstil. „Du mussder des gmalt vorstelln.“

Er stammt aus der Bronx, also aus der Südstadt von Nürnberg. Seine Mutter stammt aus Basel. „Sie hat das Fränkische nicht gemocht“, erinnert Weniger.  Wenn er den Dialekt als Junge benutze, sagte die Mutter: „Red nicht so geschert.“

Mundart sei tabu gewesen, das sei erst wieder in den 70er Jahren hochgekommen, mit Österreich als Vorbild. Die Nazis hätten auch den Dialekt verdorben. Mundart sei nach dem Krieg gleichbedeutend mit der „braunen Soße“ gewesen. „Da mussten wir uns erst frei schwimmen.“

Der Dialekt schaffe auch Verbindungen zu anderen Ethnien, meint der Pfarrer aus der Bronx. Er erzählt von Begegnungen mit Gruppen afrikanischer Gläubiger: Jeder drücke sich durch seine Mundart und durch Musik aus. „Da gibt es manchmal unterirdische Kanäle, die uns mit anderen Völkern verbinden, Kanäle, die plötzlich freiliegen, dann geht das Herz auf und du kannst greiner.“

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Mit Günter Stössel betritt ein Stück Mundart-Geschichte die Bühne. Die meisten im Zelt spüren ihn, manche nehmen seine Reime vorweg, wenn er singt. Sein Auftritt ist berührend – für beide Seiten. Da zeigt sich noch einmal ein älterer Herr, der freundlich, fast gütig, aber auch geschwächt wirkt. Er muss sich besinnen, unterbricht sich immer wieder. Seine Couplets begeistern, die Zuhörer haben ihn nicht vergessen und erkennen sich wieder. Günter Stössel erinnert daran, wo er und letztlich der große Strom der fränkischen Mundart herkommt:  aus der Beobachtung des Naheliegenden, aus den alltäglichen Ärgernissen und Kuriositäten, aus der Auslegung der Worte, aus der Abgrenzung zum Hochdeutschen. Stössel nennt sein Vorbild, den Humoristen und Kabarettisten Hermann Strebel. „Das Streberla“. Der Franke liebe ja den Diminutiv. Wunderbare Couplets habe der Strebel geschrieben und darin Nürnberg verewigt. Ein Plauderer sei er gewesen. Ein Unterhalter, ein Entertainer, wie man heute neudeutsch sagen würde.

Günter Stössel kommt von weit her, aus den 70er Jahren. Er hat schon Couplets geschrieben, als die jüngsten im Teilnehmerfeld dieses Festivals von Burgbernheim gerade auf die Welt kamen. „Ich waaß gar net, wo ich oofanger soll“, sagt der 71-Jährige. Er wird mit Jubel begrüßt, der Nestor der fränkischen Mundart-Kunst genießt es sichtlich.

Bei Stössel wisse man nie so genau, was wichtiger sei, sagt Moderator Karl-Kraus, „des Lied oder des Gwaaf dazwischn“. Beides ist wichtiger. Stössel kann eben nicht nur singen, was vielen seit langem im Ohr ist; er hat auch eine Geschichte für jedes typisch fränkische Wort. „Edzerdla“, ein sehr schöner Begriff, sagt er. Aber so, wie der Begriff als Motto des Festivals gemeint sei, drücke er „nur die Hälfte der Wahrheit“ aus. Gedehnt gesprochen, sei „edzerdla“ eben wieder was ganz anderes.

Gwaaf und liedhafte Erkenntnisse: Günter Stössel führt seine Zuhörer „mit dem geistigen Auge auf den Nürnberger Hauptmarkt. „Hörn wir rein“, fordert er auf. Beginnt das Lied vom „Gerchla aus Gostenhof“ – unterbricht sich aber gleich wieder. Ein Zuhörer ärgert sich am Ende, weil sich Stössel zu viel Raum nehme und den Ablaufplan durcheinander bringe. Aber es gibt eben so viel zu erklären. Und eine Hamburgerin im Publikum nimmt Stössels Abschweifungen dankend an. Jetzt weiß sie wenigstens, was es bedeutet, „a Waffl onkängd zu grieng“.  Oder was ein „Dullnraamer“ ist. Und wer wollte auf die Erklärung des  Unterschiedes zwischen den Präpositionen „aff“ und „aaf“ verzichten. Die Hamburgerin weiß jetzt, was es bedeutet „aff Danz“ zu gehen, und was es heißt, wenn man ein Schloss „net aaf bringd“.

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Vielleicht sind es auch die Klischees über das Fränkische, die lange dazu beigetragen haben, dass Fränkisch verpönt war. Aber Burgbernheim zeigt auch, dass Klischees ihr Recht haben. Zumindest dieses: Fränkische Mundartlyriker und Liedermacher und Musiker schlagen Funken aus Kleinigkeiten. Leibarös, warum darüber ein Lied schreiben? Weil es ein Ort ist, der Siggi Michl von der Landmusigg „komisch vorkam – da dachte ich mir, da muss mer mal a Lied drüber schreim“. Michl zeigt diesen typischen Humor, der von der ironischen Selbstherabsetzung lebt; manchmal auch vom Fatalismus: „Es kummt, wies kumma muss – und des bis zum Schluss.“ Über einen Fluss seiner Heimat, über die Wiesent, sagt der Bayreuther: „Des is nix Richtigs, aber gut zum Schlauchboot fohrn.“

Ähnlich der Liedermacher Wolfgang Buck: Er hebt die fränkische Art hervor, sich nach innen zu freuen. Oder Mäc Härder, der immer wieder mit der reduzierten fränkischen Euphorie spielt: „Du bist auf dem Bild so gut troffen, ich hätt dich fast net erkannt.“

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Die fränkischen Mundart-Künstler bilden eine eng verbundene Szene. Auch der nicht eingeweihte Zuhörer bemerkt im Laufe des Festivals die starke Vernetzung. Stössel  huldigt seinen Vorbildern Hermann Strebel und Maximilian Kerner, dessen Gitarre er sogar übernommen und restauriert hat und die er zehn Jahre nach Kerners Tod noch immer spielt. Müller untermalt die Vorträge Haberkamms. Der wiederum übersetzt und schreibt Texte für Müller, Kügel, Tietz oder den Erlanger Schauspieler und Musiker Winni Wittkopp.  Auch ein Debüt, wie es der sowohl musikalisch, als auch textlich überzeugende Thomas Bauernschmitt aus Waischenfeld auf der Streuobstbühne hinlegt, wäre im Alleingang nicht denkbar. Bauernschmitt erzählt, dass er es ohne Vorbilder wie Wolfgang Buck oder Fürsprecher wie Helmut Haberkamm  nicht gewagt hätte, seine englischen Texte hinter sich zu lassen und sich der Waischenfelder Mundart zuzuwenden. Alle scheinen sie an einem großen Projekt mitzuschreiben – an „aana glanna Homaasch“ (Johann Müller) an ihre Heimat.

Zuammen könne man „mehr schaffen“, meint Haberkamm, als er Sonntagnachmittag mit Müller auf der Bühne steht. Dass ein Lyriker und ein Gitarrist, der dessen Gedichte mit leisen Tönen rhythmisiert, ein Bierzelt füllen und fesseln können, das dürfte nicht oft vorkommen. Das Festival verbindet: Religion mit Mundart. Bayreuth mit Rumba und Swing.

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Die Lust, die Mundart vielsagend und paradox einzusetzen, ist groß. Etwa beim Schweinfurter Klaus Gasseleder, der über „Edzerdla“ nachsinnt mit dem Hinweis: „In meiner Sprach da gibt's kei edzerdla.“ Mia Pittroff freut sich über die „klare Ansage“ vor ihrem Auftritt: „Mach a weng länger, aber mach net zu lang.“  Johann Müller bedenkt einen Zuhörer, der den zarten Ausklang seines Liebesliedes verdirbt, mit einem zweischneidigen Lob: „Schee, dasst scho vorher klatscht hast.“ Aus den Gedichten von Manfred Kern, der das dunkle Hohenloher Fränkisch pflegt, ergehen widersprüchliche Aufforderung wie: „Lach nedd, aber lach, bitte lach“. Und Günter Stössel ruft einem verspäteten Gast zu: „ Auf Ihner hammer gward“. Das sei, erklärt der Mittelfranke Stössel,  zwar eine oberfränkische Ausdrucksweise. Doch sie sei, „wie alles Fränkische zweideutig, aber auf jeden Fall freundlich gemeint“. Auf das Verwirrende dieser Zweideutigkeit weist zum Abschluss des Festivals auch Wolfgang Buck in seinem Sonntag-Abend noch einmal hin, als er einen fränkischen Standardsatz aufgreift: „Kummerner hamm, dir werri helfn.“ Das sei eben typisch Fränkisch, meint der Theologe und Liedermacher Buck, „wenn dir mit Heimat und Hilfe gedroht wird“.
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Lyrik käme ja von Lyra, erklärt Moderator Klaus Karl-Kraus den Festival-Besuchern. Und die Lyra sei die Vorläuferin der Gitarre. So gesehen stehen die Gitarre und die (Mundart-)Lyrik in enger Abhängigkeit. Hörbar wird das, wenn Johann Müller Haberkamm-Texte durch seine unterlegten Gitarrenklänge mitinterpretiert. Oder wenn der Gitarrist Harry Düll die düster-verspielten, oft lautmalerischen Gedichte von Manfred Kern zu einem Klangteppich verwebt. Manfred Kern greift auf die Nazigeschichte und eigene dunkle Kindheitserinnerungen zurück. Plötzlich kann die Lyrik bei ihm zu einem Stottern werden: „Mundart, unsere Geheimsprach!“ – das nimmt man dem Autor aus Wettringen sofort ab. Leider kommen viel zu wenige Zuhörer zu seinem Auftirtt. Der Geräuschpegel im Zelt ist zudem hoch, die düsteren Botschaften („Blind und erschossen, glaab mer, des gibt's“) wollen nicht viele an sich heranlassen. „Ein sehr reflektierter Autor“, urteilt eine Zuhörerein aus Erlangen und ärgert sich über die knappe Aufmerksamkeit, die Manfred Kern zuteil wird: „Die meisten Leute wollen nur lachen, das find ich traurig.“

Lyrik und Lyra in Personalunion verkörpert Wolfgang Buck. Er schwärmt für seine Mundart, betont aber, dass sie nicht besser sei als andere Mundarten. Es sei schlicht naheligend, sie zu verwenden.  „Die Sprach, in der ich am besten kann.“ Und der vielleicht bekannteste Ausdruck dieser Sprache heißt „bassd scho“. Wolfgang Bucks Erzählung von seinem „neuen Häckala“, wird eine Illustrationsgeschichte des fränkischen Paradewortes, das für  Unerschütterlichkeit steht. Mit dem neuen Häckala habe er sich beinahe den linken Zeigefinger abgeschnitten. Glücklicherweise war an diesem Tag ein fähiger Handchirurg in der Bamberger Klinik.  Am Sonntagabend steht Buck im Festzelt, ein Pflaster am genähten Finger: „Bassd scho“, sagt er. Genau so is.

Ekkehard Roepert

Erlangen

© 2016. Alle Rechte beim Autor.

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